Da war diese Clique bei der Arbeit, mit der sie sich regelmässig zum Feierabendumtrunk getroffen habe. Und wie es manchmal so läuft, aus einem Glas Wein wurden zu Hause, ausserhalb der sozialen Kontrolle, immer wie mehr. Noch schlimmer sei es nach ihrer Pensionierung geworden. Sie habe sich mit 60 Jahren pensionieren lassen und sich auf die freie Zeit gefreut. Aber es kam dann ganz anders. Sie habe einen guten Freundeskreis, in dem niemand trinkt. Darum sei wahrscheinlich auch niemandem aufgefallen, dass sie ein grosses Problem mit Alkohol habe. Oder keiner wollte das Problem offen ansprechen. Es kam, wie es kommen musste. Sie habe ihre Freundinnen vernachlässigt und jegliche Tagesstruktur verloren. Die Alkoholsucht habe ihre Gedanken dominiert.
Dreimal hat sie in der UPD einen Entzug unternommen. Jedes Mal sei sie wieder rückfällig geworden. Zuletzt kam sie aufgrund einer fürsorgerischen Einweisung ihrer Psychiaterin in die Klinik Südhang. Wieso der vierte Anlauf funktionierte, erklärt sie sich folgendermassen. Die Dauer von zwölf Wochen konnte in ihr eine Veränderung bewirken, und natürlich das Wissen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen in ein Pflegeheim eintreten müsste, falls sie ihren Alkoholkonsum nicht in den Griff bekäme.
Seither lässt sie sich durch die Psychiatrie-Spitex unterstützen, welche ihr im Alltag hilft, mal eine Lampe auswechselt, sie beim Arztbesuch begleitet, beim Gang zum Optiker oder an den Bankomaten. Stress verschlimmert ihre Symptome, weshalb sie mittlerweile auch ihre Finanzverwaltung in die Hände eines freiwilligen Beistandes übergeben habe. Einmal pro Woche besucht sie den Tagestreff des Altersheimes und sie geht seither alle sechs Wochen bei der Beratungsstelle vom Blauen Kreuz vorbei. Dort habe sie die Möglichkeit, langfristig an sich selbst zu arbeiten. Achtsamkeit sei momentan ein zentrales Thema.
Zehn Jahre lebt sie nun schon abstinent. Nein, die Zeit mit ihren Alkoholabstürzen wünsche sie sich nicht zurück. Ihre Lebensqualität habe sich in dieser Zeit sehr verbessert. Sie sei zufrieden mit ihrer jetzigen Situation und hoffe, dass sie noch eine Weile in ihrer Wohnung bleiben und den Gang ins Pflegeheim aufschieben könne.
Cornelia Stettler, Leiterin Kommunikation + Fundraising
Hier geht es zum PODCAST: Ein Grund am Morgen aufzustehen - Lebenssinn statt Alkohol
Einsamkeit ist ein häufig genannter Grund für ein sich einschleichendes Alkoholproblem, meint Corine Gasser, Beraterin beim Blauen Kreuz in Bern. Nach der Pensionierung fallen die Tagesstruktur und oft auch ein Teil der Sinnhaftigkeit weg. Es sei aber wichtig, etwas zu haben, wofür es sich aufzustehen lohnt. Ein gutes soziales Umfeld kann helfen, Freundschaften pflegen und regelmässige Bewegung, um psychisch und körperlich fit zu bleiben. Welche weiteren Schutzfaktoren es gibt und wieso es sich auch im Alter lohnt, den Alkoholkonsum im Griff zu haben, erfahren Sie im Podcast.