Verantwortung für das eigene Leben übernehmen

Herr M. fing 16-jährig mit dem Trinken an. Die Sucht hat ihn 40 Jahre lang wie ein roter Faden durch das Leben begleitet. Erfahren Sie im Interview, wie er sich von belastenden Verhaltensmustern lösen konnte.

Er habe sich viel verbaut mit der Trinkerei. Die Lehrstelle habe er verloren, er durfte lange nicht Autofahren lernen, Beziehungen sind daran zerbrochen. Dabei wollte er nie so werden wie sein Vater, welcher Alkoholiker war. Mit 28, nachdem er seine Lehre in einem zweiten Anlauf abgeschlossen hatte und nach einem Entzug wieder einmal versuchte, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, lernte er in einer Bibelschule in Kanada seine künftige Frau kennen. Sie heiraten, bekommen drei Kinder, aber die Probleme werden für Herrn M. nicht kleiner. Seine Frau ist aufgrund ständiger Rückenschmerzen von Schmerzmitteln abhängig und psychisch sehr unstabil. Er selbst rutscht in ein Burnout.

Während dem dreimonatigen Klinikaufenthalt beschäftigt sich Herr M. in verschiedenen Therapien stark mit sich selbst. Er lernt, seine Gefühle und Bedürfnisse besser wahrzunehmen. Ein Ausspruch seines Therapeuten ist ihm bis heute geblieben: «Wenn Sie jetzt nicht handeln, dann werden Sie behandelt». Da sei ihm klar geworden, dass es an der Zeit sei, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen.

Diese Verantwortung für sein Wohlergehen könne nicht abgegeben werden, meint Herr M. Genau gleich sei es mit der Schuldfrage in Bezug auf seine aktuelle Lebenssituation. Auch wenn sein Vater ein Trinker war und er selbst unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten habe, jetzt sei er ein anderer Mensch, der anders handeln müsse als in der Vergangenheit.

Nach dem Klinikaufenthalt trennte er sich von seiner Frau. Die Kinder leben ein Jahr lang bei ihm. Nachdem seine Frau in ein begleitetes Wohnangebot eintreten konnte, ziehen die jüngeren beiden Kinder mit ihr dorthin. Der ältere Sohn bleibt bei ihm, schliesst die Lehre ab und wohnt immer noch in der Nähe. Die Beziehung zu den Kindern hat unter der Trennung sehr gelitten. Erst recht, nachdem seine Frau sich das Leben genommen hatte.

Nachdem er die Verantwortung für die Kinder abgeben konnte, konsumiert Herr M. wiederum sehr viel Alkohol. Drei bis vier Liter Bier an Wochentagen, fünf bis sechs Liter am Wochenende. In seinem Beruf konnte das nicht lange gut gehen. Er sei auf den Fahrausweis angewiesen. Nach einem erneuten Rückfall und einer Selbsteinweisung in die Klinik Südhang folgte der Billett-Entzug. Sein jetziger Arbeitgeber machte Druck und schloss eine Vereinbarung mit ihm ab. Entweder er schaffe es, innerhalb eines Jahres den Fahrausweis zurückzugewinnen, oder er müsse ihm künden. Nach einem halben Jahr sollte er zu einer Haaranalyse, welche er bei seinem Chef mit diversen Ausreden absagte.
Sein Vorgesetzter habe ihn damals beeindruckt. Er habe ihm erklärt, ihm sei er keine Rechenschaft schuldig. Die Regeln seien klar, Herr M. lebe sein eigenes Leben und müsse selbst entscheiden, wie er dieses Leben gestalten wolle und die entsprechenden Konsequenzen tragen.

Da sei sie wieder gewesen, die Frage nach der Verantwortung und gleichzeitig die Möglichkeit, selbst etwas zu verändern. Diese Chance wollte er packen, er besucht seit vier Jahren regelmässig Suchttherapie-Stunden beim Blauen Kreuz.

Er könne nicht garantieren, dass er niemals mehr rückfällig werde. Im Moment habe er kein Verlangen nach Alkohol und geniesse es, nicht von einem Suchtmittel in seinen Handlungen getrieben zu sein. Er sei sehr dankbar für diese Freiheit im Kopf.


Cornelia Stettler, Leiterin Kommunikation + Fundraising

 

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