Die Auswirkungen von Corona auf suchtbelastete Familien

In den letzten Monaten wurde sehr deutlich, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen stärker an ihrer Symptomatik leiden. Und wenn es einer Person schlechter geht, betrifft das in der Regel auch das Umfeld. Dies trifft im Speziellen auch auf suchtbetroffene Familien zu, wie folgendes Beispiel aus der Praxis zeigt.

Karin fiel in der Schule schon vor Corona wegen ihren Leistungen auf. Im Gespräch mit der Mutter zeigten sich dann konkret folgende Probleme. Der Vater, ein Alkoholiker, gehe einer Arbeit nach. Die Mutter, in der Pflege tätig, meinte, die Situation zu Hause sei heute in Ordnung. Es trete keine Gewalt mehr auf, da die Mutter mittlerweile gut merke, wann der Vater zu viel getrunken habe und die Kinder dann ermahnen könne, still zu sein.

In der Einzelarbeit mit Karin zeichnete sie ihre Familie als Tiere: Der Vater war eine Schildkröte, die Mutter ein Huhn, der ältere Bruder eine Katze und sie selbst ein Hund. Im Gespräch erklärte sie, dass die Katze eine liebe sei, manchmal auch sehr verschmust. Auch das Huhn und der Hund würden kuscheln. Manchmal, wenn es etwas lauter sei, gackere das Huhn, es sei aber ein liebes. Die Schildkröte kuschle weniger gerne. Die habe es gar nicht gerne, wenn es lauter werde. Sie ziehe dann den Kopf zurück oder werde richtig wütend. Durch die Arbeit mit «Stellvertretern» für jedes Familienmitglied, konnte Karin ohne Loyalitätskonflikt über die Situation zu Hause sprechen. Dank dem Bild konnte ich als Beraterin der Mutter aufzeigen, wie stark ihre Tochter bereits internalisiert hat, dass sie sich zurücknehmen muss. Das bewegte etwas in der Mutter. Sie wollte diesen Lerneffekt definitiv nicht, sondern wünschte sich eine andere, unbelastete künftige Beziehung zu ihren Kindern.

 

Unterbrochen wurde der Beratungsprozess dann durch den Lockdown im Frühjahr 2020. Die Mutter wollte wegen der grossen Belastung nur noch per Mail Kontakt. Sie leistete viele Überstunden, der Vater war zu Hause. Denn dieser gehörte aufgrund seines starken Asthmas zur Risikogruppe. Welch ein Glück für die Familie und die Betreuung der Kinder, könnte man meinen. Weit gefehlt: Als die Tagesstruktur des Vaters wegfiel, trank er stärker. Er verschlief den halben Tag. Dies hatte zur Folge, dass gerade Karin, die sowieso Schulprobleme hatte, gar nichts mehr für die Schule machte und der ältere Bruder verantwortlich dafür wurde, dass sie überhaupt erst aufstand. Die Mutter schrieb mir im E-Mail-Kontakt, sie habe es irgendwann aufgegeben, mit der Tochter zu streiten, da der Vater es ja nicht besser mache. Mittlerweile wurde dem Vater die Stelle gekündigt. In der Schule wurde vermeldet, dass Karin über Gewalt zu Hause spricht, daraufhin hat die Mutter wieder ein Gespräch in der Beratungsstelle vereinbart. Sie will sich rechtlichen Rat einholen, weil sie eine Trennung von ihrem Ehemann in Erwägung zieht.

Für Probleme wie die von Karin gibt es in unseren Beratungsstellen ein spezifisches Beratungsangebot für suchtbetroffene Familien. Wir orientieren uns am Kindswohl. Das wissen und schätzen die meisten Eltern. Und diese Sicht ist notwendig, um transgenerationale Schäden zu minimieren. Heute mehr denn je.

Nina Aeberhard und Stéphanie Meier, Fachberaterinnen Sucht und Familie

 

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