Das Vehikel der Beratung ist die Beziehung

«Zwei Seelen leben in meiner Brust», meint Heiner Siegenthaler auf die Frage wie es sich anfühle, sich nach über 27 Jahren beim Blauen Kreuz, pensionieren zu lassen. Er habe über all die Jahre als Berater beim Blauen Kreuz den Austausch mit Menschen sehr geschätzt. Es gab viele interessante Begegnungen und die Arbeit mit Klienten und Klientinnen sei herausfordernd und oftmals spannend.

Er sei froh darüber, dass er nicht als Einzelkämpfer unterwegs gewesen sei. Der Fachaustausch im Team sei wichtig und er habe diesen sehr geschätzt. Über all die Jahre habe er auch immer wieder Coaching für sich selbst in Anspruch genommen. «Die Arbeit mit so vielen, sehr unterschiedlichen Menschen und Systemen ist anspruchsvoll und manchmal auch zehrend. Es ist wichtig, dass man als Berater besonders lernt, auf die innere Stimme zu hören und die nötige Distanz zu bewahren oder wieder zurück zu gewinnen.»

Beratungsarbeit sei in erster Linie Beziehungsarbeit. Häufig kommen Klientinnen und Klienten heute mit sehr viel Vorwissen in die Beratung. Doch dieses kognitive Wissen über die Psyche des Menschen, um den Verlauf und die Muster einer Suchtkrankheit reichen leider nicht aus. Eine Veränderung im Verhalten brauche einen inneren und häufig auch äusseren Ansporn, manchmal sogar etwas Druck. Oft sind es der drohende Verlust von Beziehungsnetzen, welche Menschen in Bewegung bringt, etwas für sich und gegen die destruktiven Kräfte der Sucht zu unternehmen. Beispielsweise wenn der Ehepartner oder die Familie ganz konkret Rückzug oder Trennung avisieren oder wenn mit Verlust des Arbeitsplatzes zu rechnen ist.

Heiner Siegenthaler hat im Verlaufe seines Berufslebens in unterschiedlichen Praxisfeldern und in Ausbildungen Erfahrung und Wissen aufbauen können. Einsichten und vielfältige Beratungs- und Therapieansätze haben ihn in seiner Arbeit bereichert und unterstützt. Eines habe er dabei aber gelernt. Es gibt nicht die «Trick-Therapiemethode». «Als Suchtberater bin ich immer wieder aufgefordert, mich auf den einzelnen Menschen einzulassen und mit ihm den Weg aus der Sucht oder der Beziehungsabhängigkeit zu suchen. Das Vehikel der Beratung ist die Beziehung. Wenn Menschen spüren, dass ich als Berater für sie hoffe, an ihre Möglichkeiten glaube und sie sich grundsätzlich angenommen fühlen, kann eine Vertrauensbasis entstehen. So kann Selbststeuerungsfähigkeit wachsen und heilsame Veränderungen kommen in Bewegung.»

Zu Beginn seiner Arbeit beim Blauen Kreuz standen Fragen rund um das Thema von Ursache und Wirkung stark im Vordergrund. Analyse, Verstehen und Verständnis schaffen, können durchaus hilfreich und entlastend sein. Oftmals aber wirkt der Blick in die Vergangenheit auch lähmend, weil Betroffene in der Gefahr stehen in die Opferrolle zu geraten. Als Opfer suchen Menschen, oft unbewusst, nach einem Täter oder Verursacher ihrer Misere. Passivität ist so vorprogrammiert.

Mit dem Wechsel zur «Lösungsorientierten Beratung» hat sich die Arbeit mit Betroffenen stark verändert. «Damit halten wir in der Beratung Ausschau nach Ressourcen, nach erreichbaren Zielen und passenden Entwicklungsschritten, welche die Betroffenen selbst oder mit Unterstützung machen können. Dies trägt zur Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins bei. Der Blick auf die zurzeit noch verdeckten Möglichkeiten passt zum christlichen Menschenbild und der Lebenshoffnung, die mich immer wieder erfrischt und ermutigt. Hoffnung und Liebe führen zu bedingungsloser Annahme und können enorme Energien wecken. Wir wissen zwar um Probleme und deren Zusammenhänge. Dennoch liegt der Fokus von Beratung und Therapie auf wohlgestalteten Zielen und Ressourcen und nicht in erster Linie auf Defiziten. Und es ist immer wieder erstaunlich zu beobachten, zu welchen Entwicklungsschritten die Klientinnen und Klienten fähig werden.»

«Zwei Seelen leben in meiner Brust» meint Heiner Siegenthaler mit Blick auf seine Pensionierung. Die eine Seele bedauert, dass er aufhören muss. Manchmal habe er den Eindruck, er könne heute aus dem Vollen schöpfen und er freut sich über die aufbauenden Begegnungen mit Menschen und positiven Entwicklungen. Die andere Seele freut sich auf viele Dinge, für welche er künftig mehr Zeit und Power haben wird. Für die Familie, seine Frau, seine Kinder und für die Enkelkinder. Auch mehr Zeit in der Natur, Zeit für Hobbys, für Reisen und Begegnungen mit Freunden. Es gibt so viele Dinge, die über die Jahre liegen geblieben sind.

Cornelia Stettler, Leiterin Kommunikation / Fundraising

 

Aus engagiert 3/20.
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